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Fotografie: ABENTEUER GROSSFORMAT (1)

Veröffentlicht am 17.07.2020

ABENTEUER GROSSFORMAT

Graflex Speed Graphic KameraGraflex Speed Graphic KameraZugegeben – eigentlich ist sie gar keine „richtige“ Großformatkamera, dieses Kameraformat beginnt erst ab 9 x 12 Zentimeter, oder 4 x 5 Inch. Meine „Baby“-Graflex Speed-Graphic ist eine alte amerikanische Mattscheibenkamera, gefüttert mit Planfilm im Format 2 ¼ x 3 ¼ Inch. Sie war in den dreißiger bis hin zu den sechzigern in den USA als Pressekamera weit verbreitet, was man in alten amerikanischen SW-Movies aus dieser Zeit gut sehen kann, wo in den entsprechenden Szenen die Pressefotografen fast ausschließlich mit diesen Kameras zu sehen waren. Graflex Kameras gab es auch in dem größeren Format 4 x 5 Inch.

Diese Kameras wurden in der Regel aus der Hand geschossen, meist mit dem an der Seite fest angebrachten Stabblitz mit Blitzbirnen befeuert – zusammen ein beachtliches Monstrum gegenüber einer in Deutschland damals eher üblichen Rolleiflex oder Leica, jedenfalls ab den 50er Jahren.

 

Langer Balgenauszug für Nahaufnahmen und Kippen der Standarte für SchärfendehnungLanger Balgenauszug für Nahaufnahmen und Kippen der Standarte für Schärfendehnung

 

Für mich übt eine Mattscheibenkamera eine bestimmte Faszination aus, die sicher mit der urtümlichen Technik zusammenhängt, wo man das meiste, was zu einem gelungenen Bild beiträgt, mit seinen Händen „begreifen“ muss. Dies führt bei mir dazu, dass bei einem zweistündigen Shooting draußen vielleicht nur zwei oder drei Bilder zustande kommen. Diese Bilder sind nicht zwangsläufig besser als digital aufgenommen, aber mit jedem Negativ verbinde ich ein bestimmtes Erlebnis, jedes hat eine bestimmte Bedeutung. An Fehler, die ich bei einem Bild gemacht habe, erinnere ich mich noch lange, ebenso an besonders gelungene Aufnahmen. Und natürlich nehme ich mir vor, diese erkannten Fehler nicht zu wiederholen. So prägt sich Verpatztes wie auch Gelungenes im Lerngedächtnis ein.

Erziehung zum „bewussten Photographieren“ also. Man beachte übrigens die Schreibweise: Ein geknipstes Bild ist für mich ein Foto, ein mit Überlegung und in Muße gestaltetes dagegen ein… Photo.

 

Muschel, Photo Max MehnerMuschel, Photo Max Mehner

 

Meine Graflex wurde vermutlich in den 1940ern gebaut. Gekauft habe ich sie online in den USA mit einem Kodak Ektar 101mm 4.5, dessen Verschluss demontiert war. Belichten muss ich bei dieser Linse also mit dem gewaltigen Tuch-Schlitzverschluss der Speed Graphic, bei dem sich Belichtungszeiten von 1/10 bis zu 1/1000 Sekunde einstellen lassen.

In der Folgezeit kamen als Ergänzung noch zwei weitere Linsen dazu, ein japanisches Fujinar 150mm und ein Schneider Super Angulon 65mm, die zusätzlich ein leichtes Tele und ein Weitwinkel für die Graflex bereitstellen.

Damit ich die Kamera mit den beiden dazu erworbenen Optiken sinnvoll einsetzen kann, musste ich einige Vorarbeiten leisten.

a) Filmmaterial: 2 x 3 Inch Planfilm ist selbst im Internet nicht mehr zu bekommen, im Gegensatz zum 4 x 5 Format, das gut sortiert angeboten wird. Also ein Rollfilm-Rückteil. Das es allerdings für dieses betagte Modell nicht gibt. Der Not gehorchend kaufe ich ein wesentlich neueres, das aber erst durch viel Nachdenken und einiges an Bastelei lichtdicht hinten an das Kameragehäuse adaptiert werden muss.

b) Objektiv-Platinen: Das Fujinar und das Super Angulon kamen ohne bzw. mit einer völlig anderen Platine. Also bastele ich zwei, die dann klaglos ihren Dienst in der Graflex verrichten.

c) Objektiv-Standarte (rise / fall, tilt): Was mich an Großformatkameras fasziniert ist u.a. die Möglichkeit, durch Anheben des Objektivs parallel zur Filmebene das Kippen der Kamera nach oben zu erübrigen, um zum Beispiel ein höheres Gebäude aufzunehmen. Und damit auch „stürzende Linien“ zu vermeiden oder zu verringern. Diese Möglichkeit besitzt meine Graflex. Interessant ist auch ein Kippen des Objektivs nach vorne und nach hinten, um den Verlauf der Schärfeausdehnung nach Scheimpflug zu ermöglichen. Als alte Pressekamera war das bei meinem Modell nicht vorgesehen. Also musste auch da eine Bastellösung her, die ich nach vorbereitenden Überlegungen und unter dem beherzten Einsatz von metallbearbeitenden Werkzeugen durchführte. 

 

Ein Dunkeltuch zum Betrachten des (seitenverkehrten & kopfstehenden) Mattscheiben-Bildes ist Pflicht.Ein Dunkeltuch zum Betrachten des (seitenverkehrten & kopfstehenden) Mattscheiben-Bildes ist Pflicht.Jetzt endlich Photos machen!

Wiesen erste Testfilme noch schwerwiegende Unzulänglichkeiten auf (Lichteinfall, Verwackelungsunschärfe trotz stabilem Stativ), waren diese dann schließlich beseitigt. Das recht gute, aber Verschluss-lose Ektar musste mit dem heftig zupackenden Schlitzverschluss belichtet werden, und Zeiten von 1/10 Sekunde oder auch kürzere funktionierten einfach nicht. Nicht wirklich scharf. Doch mit Drahtauslöser und ab einer 1/200 Sekunde funktionierte das schließlich auch zufriedenstellend. 

 

Da ich auch ab und zu eine Blitzanlage einsetzen wollte, musste ich dies mit der Graflex ausprobieren. Ein Selbstportrait, assistiert von meiner Frau. Kamera aufs Stativ, Objektiv einsetzen, Ausschnitt mittels Mattscheibe komponieren, das Einstelllicht des Blitzes ist hell genug. Scharfstellen mittels Lupe. Probeblitz auslösen für den Blitzbelichtungsmesser. Verschlusszeit einstellen, Blende am Objektiv auf den passenden Wert schließen. Mattscheibe entfernen und Rollfilmrückteil befestigen.

Die altmodische Blitzsynchronisation des Graflex-Schlitzverschlusses versagt bei modernen BlitzenDie altmodische Blitzsynchronisation des Graflex-Schlitzverschlusses versagt bei modernen Blitzen

Erst einmal das Ektar. Der Schlitzverschluss der Graflex hat einen urtümlichen Synchronanschluss für die alten Birnchen-Blitze – ob da die Synchronisation mit einem modernen Elektronenblitz klappen wird?

Jetzt das Fujinar mit x-Synchronisation, da bin ich mir schon sicherer.  

 

Einige Tage später.

Den vollständig belichteten HP5plus habe ich in Adonal entwickelt, die Tonwerte der Negative stellen mich zufrieden. Nach dem Scan mit meinem Flachbettscanner sehe ich mir die beiden Blitzbilder an: Kernschrott! Was ist passiert?

Das Ektar wurde durch den Schlitzverschluss nicht synchronisiert, die extrem schwache Belichtung war nur durch das Einstelllicht erfolgt.

Beim Fujinar ist es irgendwie umgekehrt: Hier hatte ich anscheinend vergessen, die Blende auf den richtigen Wert zu schließen, heftig überbelichtet.

Gut, ich hatte wieder etwas gelernt.

Abenteuer Großformat.

 

Architekturfotografie: Durch die Standartenverstellung können "Stürzende Linien" reduziert werden.Architekturfotografie: Durch die Standartenverstellung können "Stürzende Linien" reduziert werden.

 

 

 

 

 

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